mica-Interview mit Peter Burwik

music information center austria (mica):

22.07.2008

Bezug nehmend auf den mica – Newsletter vom 17.6.2008 in dem es unter anderem um folgendes geht:

„Obwohl Österreich für die Neue Musik mittlerweile kein schlechtes Pflaster mehr ist, mangelt es den Ausbildungsstätten für junge MusikerInnen an diesbezüglicher Vermittlungsarbeit. Die Akademie schafft hier Abhilfe und geht auf diese speziellen Erfordernisse zeitgenössischer Musik ein.“

Der Dirigent Peter Burwik gründete 1971 das Ensemble 20. Jahrhundert in Wien, das er seither auch leitet. Er war außerdem ständiger Gast bedeutender Orchester im In- und Ausland. Seit 1987 unterrichtete Burwik an der Universität (früher Hochschule) für Musik und darstellende Kunst die Fächer „Musik der Gegenwart“, „Einführung in die Neue Musik“ und „Kompositionspraktikum“.

Sabine Reiter hat ihn zur Bedeutung der Neuen Musik im universitären Unterricht befragt. Dieses Interview ist der erste Beitrag einer Reihe, die sich mit der Thematik des Stellenwerts der zeitgenössischen Musik an den österreichischen Kunstuniversitäten auseinandersetzen wird.

SR: Sie lehrten seit 1987 an der Musikuniversität. Welche Veränderungen bezüglich des Stellenwerts der zeitgenössischen Musik im universitären Unterricht haben Sie beobachtet bzw. selbst bewirkt?

PB: Ich habe sehr bald, nachdem ich begonnen hatte, Neue Musik zu unterrichten, mit Hans Kneihs als verantwortlichem Hochschulvertreter ein Konzept zur Strukturierung des Fachs „Musik der Gegenwart“ erarbeitet. Es wurde in der Folge dann auch ein „Schwerpunktstudium Neue Musik“ geplant, das in seinem vollen Umfang aber noch nicht verwirklicht werden konnte.

Es gibt zunächst eine grundlegende Schulung, die jeder machen muss, der im Konzertfach studiert und mit dem Diplom abschließen möchte, und darüber hinaus ein breiteres Angebot für all jene, die ein spezielleres Interesse an Neuer Musik a priori haben oder im Verlauf des Studiums entwickeln. Das normale Angebot, das seit damals im Wesentlichen ein Ausmaß von 15 zweistündigen Unterrichtseinheiten in Form von Proben umfasste, wurde vor einiger Zeit auf über 20 Unterrichtseinheiten erhöht. Es beinhaltet die praktische Beschäftigung mit einer Vielfalt ästhetischer Erscheinungen im Bereich der neuen Musik und erstreckt sich, je nach zeitlicher Verfügbarkeit der Studenten, auf zwei bis vier Semester. Hier geht es nicht nur um Spieltechniken im Instrumentalbereich, sondern vor allem auch um eine Vermittlung der theoretischen und gedanklichen Grundlagen der verschiedenen Erscheinungsformen Neuer Musik. Die Resultate dieser Auseinandersetzung werden in Konzerten am jeweiligen Semesterende präsentiert.

Im Fach „Kompositionspraktikum“ beschäftigen sich die Kompositionsstudenten zusammen mit Instrumentalstudenten, die wiederum vielfach auch im Bereich „Musik der Gegenwart“ inskribiert sind oder waren, mit der praktischen Erprobung ihrer Werke. Da wird viel diskutiert und ausprobiert – und die Instrumentalisten werden somit in einem ganz anderen Lehr-Zusammenhang authentisch mit den Gegebenheiten und Problemen der kreativen Basis der neuen Musik bekannt. Und diese andauernden wechselweisen Erfahrungen, die die interessierten Instrumentalisten über einige Semester hinweg sammeln können, halte ich im Gesamtzusammenhang der Ausbildung im Bereich der Neuen Musik für besonders wertvoll.

Aber nicht nur ich bin seit zwanzig Jahren in diesem Bereich tätig, sondern es sind, was die Wiener Universität betrifft, viele Kollegen, vor allem auch aus dem Bereich der Musikpädagogik, aktiv. So werden beispielsweise in Zusammenarbeit mit „Wien Modern“ Symposien, Seminare und Kurse organisiert.

Es wird auf verschiedenen Ebenen versucht, einen Bereich zu vermitteln, der ja aber nicht der erste und auch nicht der einzige Bereich der Musikausbildung ist. Das ist ein sehr komplexes und umfangreiches Feld, in dem die Studenten, wenn sie seriös studieren, und davon gehe ich aus, auch zeitlich enorm beansprucht werden. Der Bereich der Neuen Musik ist noch dazu einer, in dem man nicht einfach mitspielen kann, sondern für den man sich gründlich vorbereiten muss. Die Spieltechniken an sich sind ja keine Rätsel, sondern das sind inzwischen bekannte Dinge, die jene, die sich damit speziell beschäftigen wollen, verfeinern müssen. Ob sie dann beispielsweise auch komplizierte Multiphonics spielen können, hängt natürlich von der Zeitinvestition der Studenten ab. Man kann in einem Unterricht zwar die Grundlagen vermitteln und Anleitungen geben, und man kann Stücke erarbeiten, in denen diese Dinge verlangt werden, aber dann muss im Grunde genommen jeder einzelne für sich selbst üben.

Selbstverständlich hat sich in den letzten zwanzig Jahren das Repertoire geändert und auch viele Strukturen im Musikleben sind nicht mehr die gleichen. Viele Leute konnten sich seither individuell als Performer oder in kleinen Gruppen, die innovativ gearbeitet haben, etablieren. Möglichkeiten, freiberuflich tätig zu sein, haben sich zunehmend entwickelt. Es gibt also eine Fülle von individuellen Zielsetzungen und ästhetischen Ausformungen, die alle im kulturellen Kontext ihre Berechtigung haben. Eine Ästhetik ist eine Zeiterscheinung, die nicht für alle Ewigkeit Gültigkeit besitzt. Der Unterricht ist daher auch nicht auf eine spezielle Ästhetik fixiert. Die Musik von Webern ist allerdings ein Fixpunkt in der Vermittlung.

Es geht selbstverständlich grundsätzlich darum, junge Leute auszubilden, die interessiert sind, Neues kennen zu lernen. Dafür braucht es Lehrer, die entsprechende Arbeitserfahrung haben. In den letzten zehn Jahren hat es auch bei den Lehrern so etwas wie einen langsamen Generationswechsel gegeben. Heute gibt es etliche Lehrer, die während ihrer Ausbildung selbst auch das Fach „Musik der Gegenwart“ studiert haben und durch ihre Konzerttätigkeit in der Zwischenzeit in vielfältiger Weise mit Neuer Musik in Berührung gekommen sind. Ich sehe die Sache an sich – und auch die Entwicklungsmöglichkeiten – eher positiv.

SR: Sie wollten ja im Rahmen der Musikuniversität auch ein Ensemble gründen, das sich kontinuierlich mit Neuer Musik befasst?

PB: Ja, das wäre sozusagen für jene Studierenden gedacht, die das Schwerpunktstudium Neue Musik absolvieren wollen. Da käme dann eine Anzahl von begleitenden Fächern dazu. Im Pflichtfach, mit zwei bis vier Semestern und einer vielleicht nur zeitweiligen Anwesendheit der teilnehmenden Studierenden in Wien, gibt es das „Ensemble“ als Unterrichtsvehikel, in dem die Studenten vielleicht drei bis fünf verschiedenartige Stücke erarbeiten können und in Konzerten präsentieren. Für das Schwerpunktstudium Neue Musik ist die Tätigkeit über die in diesem Ensemble üblichen ca. 22 Proben hinaus weit umfangreicher. Das ist im praktischen Bereich um ein Vielfaches mehr. Dazu kommen dann aber auch noch begleitende Fächer, die die instrumentalen Spieltechniken betreffen, Literaturkenntnisse, Notationskenntnisse und so weiter. Das Schwerpunktstudium kann jeder, der interessiert ist, im Rahmen des Normalstudiums absolvieren, etwa durch die Einbeziehung von Wahlfächern, auf die die Studierenden dann allerdings in anderen Bereichen verzichten. Es ist an der Universität möglich, durch die Fächerauswahl spezielle Interessen gezielt zu verfolgen.

SR: Das heißt die zwei Semester Ensembleunterricht sind die Pflicht, was darüber hinaus geht, ist die „Kür“?

PB: Ganz genau. Was es aber schwierig macht, mit solch einem Ensemble das angestrebte hohe Niveau zu erarbeiten, ist die zunehmende Integration der Studenten in professionelle Arbeitsbeziehungen. Je höher das Semester, umso mehr gibt es individuell zu tun. Zum Teil arbeiten die Studenten bereits voll und haben Konzerte an anderen Orten.

Die Idealvorstellung wäre natürlich, dass jemand zwei Jahre kontinuierlich in dem Ensemble spielt. Dann könnte man sagen, das ist ein wirkliches Ensemble. Es ist aber eben nicht so, weil die Studenten das nicht leisten können. Trotzdem ist es derzeit im jeweiligen Semester de facto ein Ensemble, in dem bei vielen Studierenden eben die erste konkrete Begegnung mit neuer Musik erfolgt. Diese bringt sehr oft sehr überzeugende Resultate, insgesamt aber kann dieses Ensemble noch nicht auf dem Niveau halten, das bei einer Intensivierung möglich wäre.

SR: In Salzburg gibt es seit 2006 das Institut für Neue Musik.

PB: Das ist auch in Wien schon lange geplant. Die Papiere sind ausgearbeitet, liegen aber noch in der Schublade. Das hat damit zu tun, dass eine neue Professur geschaffen werden müsste.

SR: Wäre das dann eine Professur für Neue Musik?

PB: Mehr als das. Ich selbst bin für Aufführungspraxis und Interpretation Neuer Musik habilitiert. Für dieses Institut müssten aber zwei Personen tätig sein, es bräuchte weiters eine Administration und eigene Räumlichkeiten. Es gäbe einen finanziellen und vor allem räumlichen Bedarf, den die Universität im Moment nicht abdecken kann. Aber es wird zurzeit daran gearbeitet, das Ganze in etwa zwei Jahren zu verwirklichen. Als Vorleistung gibt es eben jetzt schon die Möglichkeit, über Wahlfächer intensiv in diesem Ensemble zu spielen.

SR: Würde das Institut Dinge anbieten, die es noch nicht gibt, oder ist das eher so wie in Salzburg zunächst eine Bündelung bereits vorhandener Angebote bzw. eine organische Entwicklung?

PB: Es wäre im Wesentlichen eine Bündelung. Es gab während meiner Zeit an der Wiener Musikuniversität immer wieder größere Projekte im Bereich der Neuen Musik, die auch mit der Einladung von verschiedenen Komponisten verbunden waren. Ich habe beispielsweise schon vor etlichen Jahren für die Universität eine ganze Arbeitswoche und ein Abschlusskonzert mit Jonathan Harvey organisiert.

Was wir machen müssten, aber noch nicht können, ist eine Intensivierung der Arbeit und Bündelung von produktionsbedingten Aktivitäten in bestimmten Zeitbereichen, um größere Projekte zu erarbeiten, mit denen man dann auch selbstbewusst in eine wirkliche Öffentlichkeit gehen kann. Das halte ich für sehr wichtig, auch um das Qualitätsniveau der Universität auszuweisen. Wir machen zum Teil auch jetzt sehr schöne interne Aufführungen, aber das erreicht nicht die große Öffentlichkeit.

SR: Interessieren sich genug Studenten dafür, ihre Betätigung in Richtung Neue Musik auszuweiten, oder könnten das mehr sein?

PB: Das könnten mehr sein. Aber es hat dann auch zu tun mit einem Wechselspiel von einem erweiterten Angebot einerseits und ausgedehnteren individuellen Zielvorstellungen andererseits. Ich meine, für den Unterricht, so wie er derzeit strukturiert ist, ist das Interesse natürlich ausreichend. Bei mir waren im Semester etwa 70 Studenten inskribiert, die auch sinnvoll zu unterschiedlichen Stücken eingeteilt werden müssen. Mehr wäre kaum möglich. Es gibt bei manchen Instrumenten ein Überangebot und bei anderen ein chronisches Defizit. Insofern ist es auch nicht ganz einfach, von einem fixen Ensemble zu reden, weil die Zusammensetzung a priori nicht unbedingt homogen ist. In manchen Fällen müssen über die Instrumentallehrer Studenten einbezogen werden, um die Konzertvorhaben zu gewährleisten. Wenn man Konzerte macht und dafür Studenten hereinnehmen muss, die das Ensemble bereits absolviert haben – oder die es erst zu einem späteren Zeitpunkt machen wollten – ist das zwar nicht ideal, es ist aber im Moment doch eine Notlösung.

SR: Wie sieht es mit dem österreichischen Nachwuchs aus? Kommen genügend Instrumentalisten nach, und sind diese auch an Neuer Musik interessiert? Es gibt ja bereits einige Initiativen von Musikschulen auf diesem Gebiet, aber könnte hier mehr gemacht werden?

PB: Das ist ein interessanter Ansatzpunkt. Wir sind als Ensemble 20. Jahrhundert schon seit längerer Zeit interessiert, mit Musikschulen zu kooperieren: in der fallweisen Durchführung von gemeinsamen Projekten, durch die Investition von Unterricht in bestehende Arbeitsprojekte oder durch eine Arbeitsbegleitung über einen längeren Zeitraum hindurch. Inwieweit die Musikschulen grundsätzlich eingerichtet sind, solche Kooperationen überhaupt möglich zu machen, weiß ich noch nicht.

Der österreichische Nachwuchs an der Musikuniversität ist im Bläserbereich meiner Meinung nach sehr gut, im Streicherbereich dagegen weniger überzeugend. Da wären wir ohne die Asiaten und Osteuropäer ziemlich arm dran. Die Blaskapellen auf dem Land, und die vielfältigen Möglichkeiten, sich von klein auf in dieser Richtung zu betätigen, sind bei uns offensichtlich ein wichtiger Nährboden und die Grundlage für die individuelle Entwicklung bis hin zur professionellen Musikausübung.

SR: Das heißt, der viel beschworene Wiener Streicherklang ist ernsthaft gefährdet…

PB: Es sind einige Dinge im Wandel begriffen, die noch nicht wirklich zur Kenntnis genommen werden. Die Anzahl der weiblichen Studenten, im Vergleich zu den männlichen, ist enorm gestiegen. Gerade im Bereich des Unterrichts mit Neuer Musik sind Ensemblestücke zum Teil sogar ausschließlich mit Studentinnen besetzt gewesen. Es gibt künftig offensichtlich kaum noch männliche Studenten… Das lässt natürlich auch Voraussagen über die Zusammensetzung der Orchester in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu. Die Philharmoniker werden in Zukunft wohl froh sein, wenn sie genug qualifizierten Nachwuchs bekommen, und alle anderen Überlegungen werden dann keine Rolle mehr spielen.