Forderung nach einem „Haus für Neue Musik“ in Wien

Das musikalische Schaffen des 18. und 19. Jahrhunderts hatte durchaus seine Funktion in Verbindung mit gesellschaftlichen Realitäten: war es im 18. Jahrhundert wesentlich getragen von gehobenen Kreisen der Adelsgesellschaft, so drängte im 19. Jahrhundert verstärkt das Großbürgertum nach Repräsentanz im öffentlichen, und das heißt im kulturellen Raum.

Für die Dimensionen der Säle in großen Adelspalais waren die musikalischen Formationen des 18. Jahrhunderts konzipiert, eben für die so genannte „Kammer“. Die gesellschaftlich und ökonomisch zunehmend emanzipierte Musik des 19. Jahrhunderts konnte mit diesen räumlichen Gegebenheiten das Auslangen nicht mehr finden: neue Säle mit entsprechendem Fassungsvermögen und geeigneten Podien mussten errichtet werden – der Musikverein, und später das Konzerthaus in Wien, sind leuchtende Beispiele.

Das musikalische Schaffen nach 1945, ästhetisch und inhaltlich wesentlich durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschaffenen Grundlagen bestimmt, konnte mit diesen Verhältnissen im Grunde das Auslangen schon nicht mehr finden. Turn- und Ausstellungshallen, Museen, Kirchen und aufgelassene Fabrikhallen dienten – auch bei diversen Festivals für neue Musik – als atmosphärisch adäquateres Ambiente.

Schon in den 70er Jahren war der Bedarf an Veranstaltungsräumen, die den spezifischen Erfordernissen einer immer weiter auch spartenübergreifenden Musikproduktion genügen, in Wien evident. Das kreative Sprengen ästhetischer Grenzen konnte nur in Räumen überzeugend passieren, deren atmosphärische Eigenprägung nicht mit historischen Traditionen identifizierbar war.

Auch für das an Neuem interessierte Publikum ist der historisch unbelastete Raum ein Erfordernis, um sich auf das Neue rückhaltlos einlassen zu können.

In vielen Städten Europas ist diesen Anforderungen schon vor Jahren und Jahrzehnten mit dem Neubau entsprechender Veranstaltungszentren oder der Adaption geeigneter vorhandener Immobilien entsprochen worden. In Wien gab es bereits in den 70er Jahren seriöse Ambitionen, etwa durch die Adaption einer der Hallen im damaligen „Messepalast“ der kreativen Musikszene mit ihren spezifischen Ansprüchen – und andererseits dem progressiven Teil des Publikums – ein adäquates Forum zu schaffen: ohne Erfolg – auf neue Musik wurde bei allen kulturellen Infrastrukturkonzepten vergessen, wohl in der Annahme, dass mit den vorhandenen Sälen der beiden großen Veranstalter traditioneller Konzertprogramme ohnehin ausreichend Kapazität vorhanden sei. Die bislang letzte Gelegenheit, geeignete Räumlichkeiten kostengünstig für einen Mehrzweck-Veranstaltungskomplex zu adaptieren, wurde mit der Schließung des so genannten „3-raum-theaters“, angrenzend an das Gelände der Musikuniversität, versäumt.

Neue Musik braucht für ihre inzwischen vielfältigen Ausprägungen adäquate räumliche Gegebenheiten: mit geeigneter Raumakustik, Infrastruktur für Ton- und Bildaufzeichnungen, elektroakustischer Installation, Voraussetzungen für variable Lichtgestaltung und Bestuhlung.

Neue Musik braucht daher in der selbst definierten „Musikstadt Wien“ ein entsprechend strukturiertes Haus für Neue Musik, das im Übrigen für das Publikum als Mittelpunkt einer entsprechenden Szene erkennbar wird und angenommen werden kann. Erst dann sind Überlegungen über die Publikumsauslastung von Veranstaltungen sinnvoll.

Dr. Peter Burwik

14.3.2013